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CAMARGUE
| Weiße Pferde, schwarze Kampfstiere, rosa Flamingos |
und die Hl. Sara, Schutzpatronin der Zigeuner


Das sind die Klischees, das weiß man, und das erwartet man natürlich auch.

Wenn nur die Camargue nicht so weit vom Schuß wäre. Aber möglicherweise ist die Mühsal der Erreichbarkeit der Grund für das Geheimnisvolle, den exotischen Reiz, den das Wort "Camargue" ausübt. Ebenso wie der Gedanke an die zehntausendköpfige, jährliche Wallfahrt der Zigeuner zu ihrer Schutzpatronin, der Hl. Sara, der schwarzen Dienerin der Heiligen Marien - oder sagt man Marias?

Weiße Pferde also, schwarze Kampfstiere, rosa Flamingos und gleich zwei heilige Marias mitsamt ihrer dunkelhäutigen Dienerin: Davon hätte man sich schon vor Jahrzehnten beeindrucken lassen sollen.

Jedoch, alas!, es hatte nie sollen sein: Die Zeit zu knapp, der Umweg zu weit, die Jahreszeit unpassend, das Wetter zu schlecht, die Straßen zu voll. Nun aber, 2016, war's soweit. Als Tagesausflug von unserem Feriendomizil in Aigaliers war die Camargue - wenn man Nîmes ausließ - gut zu schaffen.

Ab Saint-Gilles, dem Eingangstor zur Camargue, würde es spannend werden. So unsere Vorstellung. Und tatsächlich! Die ersten weißen Pferde. Zwar keine ungestüm durch die Ebene galoppierenden Herden sondern handzahm-gesattelte Gäule mit durchhängendem Kreuz, auf touristische Spazierreiter wartend. Rechts der Straße und links der Straße.

Stiere? Fehlanzeige. Und die Schwärme tausender Flamingos? Wenigstens so viele, wie im Kölner Zoo durchgefüttert werden? Sogar ein einzelnes Exemplar hätte uns ja schon zufrieden gestellt.

Was uns blieb war die Hoffnung auf später. Auf der Rückfahrt entlang der Küste würd's schon werden. Und so, zugegeben ein wenig enttäuscht, erreichten wir das geheimnisumwobene Saintes-Maries-de-la-Mer, rieben uns die Augen und überprüften vorsichtshalber im GPS, ob wir nicht versehentlich in der Drosselgaß' zu Rüdesheim gelandet waren. An einem sommerlichen Samstagnachmittag.

Was uns, mit der Dauersorge um einen Parkplatz infizierte Jung-Bewohner des Rhein-Sieg-Kreises, den Schweiß auf die Stirn treiben ließ.

Doch gemach. Unser Cinquecento benötigte ja nicht viel Platz. Den fanden wir hinter der Deichmauer und quälten uns durch die Drosselgasse à la Francaise zur Wallfahrtskirche Notre-Dame-de-la-Mer.

zum Vergrößern Bild anklicken

Auf den 35 Kilometern von Saint-Gilles bis Saintes-Maries-de-la-Mer durch die Camargue hatten wir die Kamera nicht aktivieren müssen. Ob wir - wie erhofft - auf der Rückfahrt mehr Glück haben würden, war, sagen wir mal, ungewiß. Deshalb waren wir glücklich, als sich auf dem Weg zur Kirche das Gassengewirr öffnete und wir plötzlich vor ihnen standen: Pferd, Stier, Flamingo - nach denen wir so lange Ausschau gehalten und deren Anblick wir so sehnsüchtig erwartet hatten. Also haben wir schon mal prophylaktisch geknipst, was das Zeug hielt:


ein Pferd !

ein Flamingo !

ein Stier !



So, das hatten wir schon mal im Kasten. Jetzt konnten wir uns in aller Ruhe diesem Zentrum uralter Volksfrömmigkeit widmen, DER Wallfahrtskirche aller Zigeuner, Notre-Dame-de-la-Mer. Hier haben die beiden HlHl. Marias, Maria Salome und Maria Jacobäa und ihre dunkelhäutige Dienerin, die Hl. Sara, ihre letzte Ruhestätte gefunden. Im 12. Jahrhundert wurde diese mächtige Abteikirche in der Ödnis des Sumpflandes der Bouches-du-Rhône errichtet und im 14. Jahrhundert als Wehrkirche ausgebaut.



Die Legende berichtet:

"Im Jahr 45 n.Chr. trieb ein kleines Boot - ohne Segel und Ruder -, das in Jaffa der See ausgeliefert worden war, an die Küste der Camargue. Die Passagiere waren Maria Jakobäa (Schwester der Muttergottes), Maria Salome (Mutter der Apostel Jakobus und Johannes) und deren Dienerin Sara, die Büßerin Maria Magdalena, deren Schwester Martha und ihr Bruder Lazarus, Sodonie und der Jünger Maximin. Während die Letzteren weiterzogen, um das Evangelium zu verkünden, blieben die beiden Marias an dem Abschnitte der Küste, der später nach ihnen benannt wurde. Was aus Sara wurde, bleibt ein Geheimnis."

Bereits aus dem frühen 14. Jahrhundert sind Pilgerreisen zu Ehren der beiden heiligen Marias bezeugt. Die Verehrung der Hl. Sara als Schutzpatronin der Zigeuner begann zwei Jahrhunderte später, kurz nach deren erster Einwanderungswelle nach Frankreich. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts blieb der Festtag der Hl. Marias (25. Mai) eine Veranstaltung lokaler Bedeutung, während die Verehrung der Hl. Sara (24. Mai) mehrere tausend Zigeuner aus ganz Europa anzog, die zuerst in Pferdewagen, später in Wohnanhängern auf der riesigen Freifläche rund um Notre Dame de la Mer lagerten. (So das Bild, das wir vor Augen hatten.)

Mittlerweile, verstärkt seit Beginn des 21. Jahrhunderts, sind die Feiertage am 24./25. Mai zu einer Massenveranstaltung verkommen. Zwar wird der Festtag der Hl. Sara von über 10.000 Zigeunern wie eh und je in tiefer Religiosität begangen, zigtausende Neugierige jedoch sehen hierin nur noch ein folkloristisches Spektakel, einen Event, einen Rosenmontagszug im Mai. Hier ist etwas sehr aus dem Ruder gelaufen, denn die Infrastruktur ist für solche Menschenmassen nicht ausgelegt. Genug der Schulmeisterei. Wer's genauer wissen möchte, dem sind ein paar Links am Fuß der Seite empfohlen.





Um die Antwort auf die Frage "Waren denn auch Roma oder Sinti dort?" gleich vorwegzunehmen: Ja, waren. An der Kathedrale trafen wir auf drei Frauen, mittelalt, schwarzes Haar, leuchtendes Kopftuch, langer, bunter Rock. Die eine wollte unbedingt jedem Gadjo aus der Hand lesen, während die beiden anderen ihre Dienste als Stadtbilderklärerinnen feilboten, was in dem Moment endete, sobald der nächste Tourist in Sicht kam. "Merci Madame und eine kleine Spende?" Kann man Klischees eigentlich noch besser bedienen? Bilder? Fehlanzeige. So was knipst man nicht.

Und das war's dann. Ade, Camargue, ade, Saintes-Maries-de-le-Mer, ade Traumgebilde. Aber da war ja noch die Hoffnung, auf der Rückfahrt- Route über die D87A galoppierende Pferdeherden, weidende Kampfstiere und die Lagune in Rosa tauchende Flamingoschwärme zu sehen. Und tatsächlich, der Abschied war versöhnlich. Zwar galoppierte niemand, auch weidete keiner und das Meer blieb blau. Aber immerhin, wir haben sie mit dem Zoom der Kamera vor unsere Augen gezaubert, nämlich ...


zwei Pferde


einen Stier


ein paar Flamingos


Fazit:
Wir hatten einen guten Tag und die Enttäuschungen hielten sich eigentlich in Grenzen. Schließlich waren wir selbst schuld. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten so viele Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lassen, die unverfälschte Camargue und das verträumte, von Touristenströmen unberührte Saintes-Marie-de-la-Mer zu besuchen. Deshalb dürfen wir uns heute auch nicht beklagen. Genausowenig darüber, daß die Hochglanz-Werbebroschüren nicht die Realität widerspiegeln. Denn das sollten wir aus unseren Berufsjahren besser wissen.

Lohnt es sich also, heutzutage noch nach Saintes-Maries-de-le-Mer zu fahren? Ja, es lohnt sich. Mit einem niedrigen Erwartungspegel und außerhalb der Saisonzeiten.
Im Winter muß es dort herrlich sein.


Links und Fußnoten
Zu den Bildern
Die meisten Bilder sind von mir. Ausnahmen sind eines der "Drosselgaß"-Bilder: * (http://images.google.de/imgres?imgurl),
* das Pferdebild am Anfang (http://www.saintesmaries.com/de/,
* das Hintergrundbild mit den Flamingos (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/66/Camargueflamingos.jpg).

Weitere Informationen
Zur Vertiefung (Camargue, HlHl. Marien, Sara, Pilgerwesen etc.) empfehle ich diese Links:
* http://www.avignon-et-provence.com/traditions/pelerinage-gitan-saintes-maries-de-mer
* http://www.marianisches.de/wallfahrten/die-wallfahrt-der-zigeuner/
* http://www.saintesmaries.com/de/
* https://fr.wikipedia.org/wiki/%C3%89glise_de_Notre-Dame-de-la-Mer
* https://de.wikivoyage.org/wiki/Saintes-Maries-de-la-Mer
* https://de.wikipedia.org/wiki/Camargue

Hennef, im Juli 2016
© Friedrich Ortwein

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